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17/06 DIE ZEIT, 70 years

Yvonne Weindel

Ein Foto sollte ich machen, so war der Anruf, ein Kurz Porträt. Die Geschichte war traurig, die Umstände bedrückend, ich konnte mit dem Fahrrad hinradeln. Einen »guten Tag« hier, ein kurzes »wollen wir uns duzen?«, und »willst Du einen Tee?«. Dann saßen wir im Wohnzimmer, ihre Familie war unterwegs. Am nächsten Tag sollte Yvonne Weindels Geburtstag sein, sie war an ALS erkrankt, sie sagte, dass viele Geburtstage nicht mehr kommen würden.
Wir wurden immer ruhiger, immer weniger Posen, nur einmal wollte sie die Frisur ändern. Das haben wir aber verworfen. Mir war sehr schnell klar, dass es dieses Bild sein würde, es zeigt nicht die Krankheit oder gar den kommenden Tod. Es zieht die Kraft aus dem gefassten Blick und der in sich ruhenden Schönheit des Momentes, der magischen Allianz zwischen Modell und Fotograf. Die Qual kommt erst später, aus dem Kontext, mit dem Wissen um ihre Geschichte liest man das Bild anders. Sieht man da Verzweiflung, Stolz, Trotz, Kampfeswillen, ist da schon die nahende Lähmung der Hand zu sehen?

Ein Foto sollte ich machen, kurz, ein Bild ist es geworden, das mich noch lange begleiten wird.

Text: Jörg Gläscher